UNESCO-Club NEWS Bonn 15/11/2009

Die traditionsreiche Teppichweberei von Aubusson - nun Kulturerbe der Menschheit

Hans-Dieter Dyroff

Das im französischen Gebirgsort Aubusson (Departement Creuse) seit Jahrhunderten ausgeübte Handwerk der Teppichweberei wurde soeben von der UNESCO in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes aufgenommen. Damit wird zur Bewahrung und Lebendigerhaltung der über ein halbes Jahrtausend tradierten und praktizierten Kulturform aufgerufen. Insbesondere Wandteppiche dieser künstlerisch-kunsthandwerklichen Produktion finden sich weltweit in öffentlichen und privaten Gebäuden sowie Kunstsammlungen.

Anfang Oktober trifft in Aubusson aus dem fernen Abu Dhabi die Nachricht vom Beschluss des UNESCO-Komitees für die Bewahrung des immateriellen Kulturerbes ein. Da ist kaum jemand glücklicher als Michel Moine, der Bürgermeister der Stadt Aubusson. In überströmender Freude begrüßt er die Entscheidung, den Namen seiner Stadt, der rund um den Erdball als Synoym für Teppichkunst steht, in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes einzutragen. „Aubusson findet Einlass bei der UNESCO“, versichert Moine seinen Gesprächspartnern. „Für Aubusson bedeutet die mit der Eintragung in die Weltliste verbundene Anerkennung ein immenses Glück.“ Sie hat in einer Gegend, die nicht gerade mit wirtschaftlicher Blüte gesegnet ist, vielfältige Rückwirkungen auf die Stärkung des Selbstbewusstseins und der Hoffnung.

Aubusson erwartet einen positiven Entwicklungsanstoss für Kunst, Gewerbe und Handel. Dies um so mehr, da der französische Staat, der den Antrag auf Eintragung letztlich gestellt hat, nun der UNESCO gegenüber in der Pflicht steht, dieses Handwerk lebendig zu erhalten. Von dieser Ehrung geht so eine enorme Herausforderung an alle Beteiligten aus. Auch das künstlerische Anspruchsniveau der Teppichproduktion muss sich von nun an notwendigerweise wieder verbessern.

Die Verantwortlichen der verschiedenen politischen Ebenen hoffen unter diesen Umständen, dass das Scheinwerferlicht internationaler Anerkennung, das die Stadt und die wenigen erhaltenen Produktionsstätten erstrahlen lässt, anhalten wird und für einen wirtschaftlichen und Qualitätsaufschwung sorgen kann. Bürgermeister Moine erkennt eine reale Chance für die Produkte, die aus seiner Gemeinde in alle Welt geliefert werden.

Die Geschichte von Aubusson kennt zu allen Zeiten Phasen des Niedergangs für die Teppichwirtschaft. Aber eben auch die Chancen, etwa wie damals, als Ludwig XIV. hier eine königliche Manufaktur einrichtete. Die Region hofft mit dem Bürgermeister, dass die Entscheidung der UNESCO in eine neue glanzvolle Epoche der Teppichproduktion führt. Mit neu gestärktem Selbstbewusstsein soll die gebotene Gelegenheit nun genutzt werden. Aubusson erkennt einen Neuanfang: „UNESCO hat für die Teppichproduktion das Tor zum 21. Jahrhundert geöffnet.“

Die Teppichunternehmen wissen, dass nur ernste Anstrengungen den Neuanfang zum Erfolg führen können. Unübersehbare Tatsache ist, dass das Gewerbe in Aubusson und seinem nahen Umfeld am Ende ist. Wie schon so oft im vergangenen halben Jahrtausend. Bezeichnend dafür steht die in der Gegend umlaufende Geschichte von der schlafenden Schönheit, die endlich wieder wach geküsst werden muss. Die unübersehbare Tatsache wird beklagt, dass lediglich noch drei kleine Firmen und zehn Handwerker die Teppichweberei ausüben.

Aubusson muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass es mal wieder zu lange den Trend der Zeit und neuer kreativer Tendenzen nicht erkannt hat. Der all zu entschiedene Rückzug auf denkmalpflegerische und museale Bedürfnisse, auch die Neigung zum Massengeschmack – all das führte zwangsläufig an die Grenzen des Wachstums. Der Mut zu Neuem, der schöpferische Aufbruch, das Wagnis des Kreativen fehlten zunehmend und führten in die Sackgasse.

Die Erinnerung an die Anfänge des bedeutenden Künstlers Jean Lurçat, der unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg in Aubusson mit der Umsetzung seiner Projekte begann und schliesslich in den Nachkriegsjahren mit seinen Künstler-Wandteppichen der Stadt weltweit zu neuem Ansehen und der Produktion zu einem gewaltigen Aufschwung verhalf, muss heute Vorbild sein, wenn die euphorisch prognostizierte künftige Aufwärtsentwicklung wirklich stattfinden soll.

Das Atelier Jean Lurçats im alten Schloss der Vicomtes de Turenne über St.-Laurent-les-Tours (nördliches Departement Lot) zeigt bis auf den heutigen Tag, wie viel handwerkliche Umsicht und Kenntnis der Arbeitsvorgänge in der handwerklichen Weberei zu der dynamisch-künstlerischen Aktivität hinzukommen müssen. Und an der hier dokumentierten und nachvollziehbar gemachten Tätigkeit im Vorfeld der handwerklichen Umsetzung unter des Künstlers Ägide beweist, wie prädestiniert und notwendig dieser vielseitig Begabte für die Produktion und das Florieren des Geschäftes war. Peinlich genau plante Lurçat mit seinen Ateliergehilfen die technischen Arbeitsvorgänge und die Abfolge der Farben. Zahlen über Zahlen hielten jeden Schritt fest.

Aubusson wäre gut beraten, wenn man man wieder nach solchen Multitalenten Ausschau hielte. Zugleich muss man aber in der Gewissheit, dass solche gebündelte Fähigkeiten nicht leicht zu finden sind, konsequent an die Ausbildung und Weiterbildung von Fachkräften arbeiten. Stets auch mit dem Ziel, die Verbindung zwischen Künstler und Handwerker zu entwickeln und in jeder Phase des Entstehens der kostbaren Ware bewusst zu machen. Dieses Konzept Lurçats bleibt notwendige Voraussetzung für den künstlerischen wie handwerklichen Vorgang.

Einerseits ist zu verstehen, dass Bürgermeister Moine in der Phase des Neuaufbruchs mit Nachdruck nach Geld sucht. Und erfreulich klingt die Feststellung, dass er in Brüssel viel Verständnis der EU für die Finanzierung einer Renaissance der Teppichkultur in Aubusson gefunden hat. Doch bei aller Notwendigkeit monetärer Hilfe - die allein wird den Aufschwung nicht bewerkstelligen können. Ausbildung geeigneter Handwerker und Vermittlung eines neuen kreativen Wollens können wohl nur mit äußerster Geduld erfolgen.

Das gilt schon für die Auswahl der Handwerker. Und erst recht für die Gewinnung fachlicher Begeisterung und technischer Befähigung.

Lurçat war sicher eine einzigartige Erscheinung in diesen Zusammenhängen – aber Aubusson sollte nicht zögern, sein Vorbild stets beim Neuanfang vor Augen zu haben.

Für die Vielfalt und Schönheit dieser Wandteppiche steht als Beispiel Jean Lurçats monumentales Werk im Salon des Délégés im Pariser Hauptquartier der UNESCO, das beweist, mit welcher künstlerisch-handwerklichen Akribie es erarbeitet wurde. Der Stadt Aubusson und den Freunden der Teppichkunst ist zu wünschen, dass im Geiste dieser Kunstwerke die Bewahrung und Neubelebung des handwerklichen Erbes gelingen möge.

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Interessantes zur Lurçat-Forschung bietet eine in Englisch verfasste Doktorarbeit, die die Rolle der Künstler Jean Lurçat und Jean Dubuffet in der Résistance beleuchtet und in voller Länge online abrufbar ist.

Mary Jane Cowan: Défense d'afficher: The Wartime Art of Jean Lurçat and Jean Dubuffet. The University of British Columbia: 1993.

https://open.library.ubc.ca/handle/bitstream/4098/1/ubc_1996-0007.pdf

Eine knappe, jedoch ebenfalls interessante Zusammenfassung liefert der online abrufbare Artikel des renommierten TIME-Magazine aus dem Jahre 1952. Der Text liefert unter anderem ein schönes Zitat des Kritikers von Le Monde: "Lurçat has made the wool sing again "(hat die Wolle wieder zum Singen gebracht). In dem Aufsatz wird ebenfalls der Künstler selbst zitiert, "I am an optimist, and my tapistries are optimists." (Ich bin Optimist, und meine Tapisserien sind Optimisten). Hier zeigt sich die lebensbejahende Haltung des Künstlers trotz der düsteren Kriegserlebnisse und die Überwindung der trostlosen, depressiven Bilder der Anfangsjahre.

Ein interessantes Detail ist ferner, dass laut Lurçats Einschätzung die Tapisserie-Produktion in den letzten 12 Jahren um 300 % gestiegen sei, was seinen Einfluss auf die Erneuerung der Teppichknüpfkunst belegt.

https://time.com/archive/6824897/art-tapestry/

(bg)

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