Biographie als Mensch

Jean Lurçat wird am 1. Juli 1892 in Bruyères (Vogesen) geboren. Als Postbeamter wurde sein Vater dorthin versetzt. Bruyères lag nach dem deutsch-französischen Krieg in der Grenzregion nahe der deutschen Grenze. Die Menschen dort waren nach den Kriegsleiden sicherlich nicht sehr Deutsch-freundlich eingestellt.

Seine Eltern lassen ihm und seinem Bruder André eine gute Schulbildung angedeihen und schicken beide nach Nancy zum Studium.

Während seines Medizinstudiums erkennt Jean, dass sein Herz vielmehr für die Kunst, als für eine Zukunft als Mediziner schlug.

Nach zwei Jahren bricht er das Studium ab und startet ein einjähriges Studium im Atelier von Victor Prouvé, der als Vertreter des Jugendstils später die École de Nancy gründet. Er setzt sein Studium in Paris und anderen Standorten fort.

Er ist interessiert daran alle Medien und Materialien kennenzulernen, die in der Kunst genutzt werden. Kunst soll für ihn im Idealfall Wände füllen und jedermann zugänglich sein. So arbeitet er 1914 als Assistent des Freskenmalers Jean-Paul Laffite.

Zu Beginn des ersten Weltkriegs meldet er sich als Kriegsfreiwilliger und kämpft für Frankreich an der Front.

Er wird schwer verwundet und kuriert sich in seinem Elternhaus aus. Der Krieg ist damit für ihn beendet und er konzentriert sich auf seine Kunst. Das Erlebte und die Geschehnisse in der Welt spiegeln sich in seiner Kunst wieder.

Nach all diesen Erlebnissen wäre es verständlich, wenn auch er den Deutschen gegenüber distanziert eingestellt ist.

So wie er allem gegenüber sehr offen ist, ist er auch daran interessiert die Deutschen kennen zu lernen, sie zu verstehen. Er differenziert sehr wohl zwischen "den Deutschen" und den Menschen deutscher Staatsbürgerschaft, denen er begegnet. 
Er hat ein großes Netzwerk zu Künstlern in den Bereichen Literatur und Malerei und allen anderen Arten der Kunst aufgebaut. Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke gehören zu seinen engen Freunden.

Über Rilke lernt Jean Lurçat Marthe Hennebert kennen und die beiden werden ein Paar. 1924 heirateten sie.

Diese Beziehung entbehrte jedoch nicht einer enormen Tragik. Marthe hat sich unsterblich in Rainer Maria Rilke, ihren Retter, verliebt, der jedoch für sie unerreichbar ist, Dieser liebt sie wie eine Tochter und kuriert damit wohl auch sein Leiden wegen der gescheiterten Vaterbeziehung zu seiner eigenen Tochter aus.

Kurz nach dem Tod von Rilke scheitert die Ehe von Marthe und Jean. Für mich passt das in das Bild, dass ihm eine Stellvertreterrolle zugewiesen war und er nicht der Wunschpartner ist. Die beiden bleiben freundschaftlich verbunden und sie ist weiterhin mit Stickarbeiten für ihn tätig.

Er lernt Rossane Timotheeff kennen und lieben. Die beiden heiraten im Jahr 1931. Den Sohn, den sie in die Ehe einbringt, nimmt Jean Lurçat wie sein eigens Kind an.
Sie ist eine vielfältig begabte Künstlerin, die jedoch zu Lebzeiten im Schatten ihres Mannes verborgen bleibt. Wir können in unserer Sammlung zwei Selbstporträts von ihr zeigen.

Beide sind politisch engagiert und betätigen sich in der Resistance. Auch ihr Sohn Victor schließt sich ihnen an. Er wird von den Nazis aufgegriffen, gefoltert und getötet.

Seine Frau zerbricht daran und erliegt 1954 einem Krebsleiden.

Im gleichen Jahr wird der Teppich "Hommage aux Morts de la Résistance et de la Déportation" gefertigt. Die Arbeit scheint sein Weg, mit Schicksalsschlägen umzugehen.

In der Resistance lernt er Simone Selves kennen, die er 1956 heiratet.

1966 stirbt Jean Lurçat an Herzversagen in seinem Winterquartier Saint-Paul de Vence.

Vor seinem Tod erlebt er noch die Fertigstellung des Teppichs Èloge, den er als Auftragsarbeit für die Lonza AG in Basel gefertigt hat. Es ist das letzte große Werk des Künstlers. Dieser Teppich kann in unserer Ausstellung bewundert werden.

Was begeistert mich so sehr an Jean Lurçat, dass ich mich so für das Museum und das Andenken an diesen Künstler engagiere?
Er war immer politisch interessiert, hat seine Kunst aber nicht danach ausgerichtet. Aber die Vorkommnisse in der Welt und in seinem eigenen Leben haben etwas mit ihm gemacht, haben ihn beschäftigt, haben ihn bewegt. Dies hat sich dann in seinen Kunstwerken widergespiegelt, egal ob bewusst oder unbewusst.
Wenn Sie vor einem seiner Werke stehen, lohnt sich also auf jeden Fall hinzuschauen, wann das Kunstwerk entstanden ist und was zu diesem Zeitpunkt in der Welt und in seinem persönlichen Umfeld los war. Mit diesen Gedanken im Hinterkopf erschließt sich mir eine Bedeutung in dem Kunstwerk und es baut sich so eine Verbindung zu dem Künstler auf. Ist es dabei wichtig zu fühlen, was er gefühlt hat. Ich sage nein, und das deckt sich auch mit all dem, was ich inzwischen über ihn gehört habe. Wichtig ist, was es mit mir macht, was ich fühle. 

Für mich ist er ein großer Europäer, der immer für Aufeinanderzugehen und Versöhnung eingetreten ist. Er hat immer vorgelebt, was nach dem zweiten Weltkrieg von Robert Schumann, Konrad Adenauer und zahlreichen anderen Politikern in ein geeintes Europa umgeformt wurde.

Zwei Situationen sind dafür exemplarisch:
Obwohl er in einem nicht unbedingt Deutschfreundlichen Umfeld aufgewachsen ist und im ersten Weltkrieg durch die Deutschen schwer verwundet wurde, hat er kurz danach bei einer Ausstellung in Zürich darauf bestanden, dass kein Schweizer und auch kein Franzose die Festrede vorbereitet und hält, sondern ein Deutscher. Sein enger Freund Herman Hesse übernahm dies gerne.
Mit der Machtergreifung Hitlers erkannte er früh, wo der Weg hinführte. Er engagierte sich daher auch in der Resistance, um im Untergrund in Frankreich dagegen zu kämpfen. 
Die Gefangennahme seines Sohnes und dessen Ermordung durch die Nazis war ein schwerer Schicksalsschlag. Seine Frau verlor daraufhin jegliche Kraft und auch den Lebensmut. 9 Jahre später erlitt sie einem Krebsleiden. So wirkte das „Werk“ der Deutschen noch lange in seinem Leben nach und er verlor durch sie die Liebe seines Lebens.
Anlässlich des Gedenktages zum gescheiterten Attentats auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 musste ich an Jean Lurçat denken. Er hat die Ereignisse damals in Deutschland genau verfolgt und sicherlich sehr bedauert, dass es der Gruppe um Graf Stauffenberg nicht gelungen ist dem Schreckensregime ein Ende zu setzen. Er konnte zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen, dass dies einen großen Einfluss auf sein eigenes Leben nehmen wird. Die Folter und die Ermordung ihres Sohnes hätte nicht stattgefunden und seiner Familie viel Leid erspart geblieben.

Nach dem Krieg beteiligte er sich wieder an Ausstellungen in Deutschland. Freunde fragten ihn, wie er dies denn tun konnte, nach alldem, was die Deutschen ihm angetan haben. Darauf erwiderte er nur: „Hitler ist tot, der Krieg ist vorüber, wenn wir nicht jetzt die Hand über den Rhein reichen, wann dann?“

Die ausgestreckte Hand ist für mich das Symbol, das sein Leben charakterisiert. Immer wieder ist er auf andere Menschen und Kulturen zugegangen. Seine Reisen rund um den Globus belegen dies deutlich. Er hat sich Fremdem nie verschlossen, sondern zugelassen, dass dies sein Leben verändern kann/darf.
So antwortete er auf die Frage, was er unter Kunst verstehe: „Kunst ist die ausgestreckte Hand des Künstlers mit der Bitte einzuschlagen.“

Jean Pascal Lorriaux hatte die Idee von großen Künstlern seiner Zeit Handabdrücke zu nehmen und die als Lithographie zu präsentieren. Neben Chagall, Picasso, Foujita, Cocteau und Mathieu hat er auch von Lurçat einen Handabdruck genommen. Wir können diesen in unserer Sammlung präsentieren und er erwartet sie gleich zu Beginn ihres Rundgangs durch die Ausstellung.
Er streckt uns seine geöffnete Hand entgegen, heißt uns willkommen, lädt uns ein zu sehen und zu fühlen und wäre sicherlich sehr daran interessiert an diesen unseren Gefühlen teilzuhaben. Manchmal, wenn ich alleine im Museum bin, setze ich mich auf einem Hocker neben die lebensgroße Plastik von ihm und unterhalte mich mit ihm. Ich erzähle ihm, dass ich seine Geschichte sehe und auch von den Erlebnissen, die mein Leben geprägt haben. Er hört mir zu, stellt mich nicht in Frage, sondern ist einfach für mich da. Ich sage dann leise Danke, gehe weiter und lade dann mit einen seiner farbgewaltigen Werke Energie auf, die mich dann auf meinem weiteren Weg trägt.

Einen wichtigen Gedanken nehme ich immer mit in die Ausstellung: Ich muss mich loslösen von der Sicht auf die Welt, wie ich sie heute sehe. Als Lurçat sein Medizinstudium begann, war die Medizin noch weit entfernt von den Standards, wie wir sie heute voraussetzen. Die damalige Lehre war seit der Antike geprägt durch die Vier-Säfte-Lehre nach Galen. Diese wiederum war eng verbunden mit der Lehre der vier Elemente (Feuer, Wasser, Erde, Luft). Wissen und Erkenntnisse, die wir heute voraussetzen, mussten erst noch entdeckt oder erarbeitet werde. Mit diesem Gedanken kann ich die Symbolik in seinen Werken in mein manchmal doch schon etwas festgefahrenes Wertebild einsortieren.

Matthias Kartes 

© Jean Lurçat Museum Eppelborn - Alle Rechte vorbehalten

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